Die siebzehnjährige Abiturientin Adèle läuft ein wenig verträumt durch die Welt. Ihre Haare sind stets ungekämmt und verwuschelt zu einem Zopf zusammengebunden. Sie trägt Jeans und Tshirt, ihr Gesicht ist ungeschminkt und oft verschwitzt. Sie liebt es zu Essen und interessiert sich für Literatur. Ihre Freundinnen dagegen interessieren sich hauptsächlich für Sex, Jungs und Partys. Sie machen Adèle darauf aufmerksam, dass Thomas, einer der heißesten Jungs der Schule, ein Auge auf sie geworfen hat und sie es doch endlich mal miteinander treiben sollten.

Adèle und Thomas verabreden sich und landen schließlich zusammen im Bett. Die Beziehung ist allerdings nur von kurzer Dauer, denn obwohl Thomas perfekt ist, ist Adèle unglücklich und ihr fehlt etwas. In letzter Zeit kann sie nur noch an eine junge Frau mit leuchtend hellblauen Haaren denken, die sie auf der Straße gesehen hat. Zufällig treffen sich beide in einer Lesbenbar wieder. Die blauhaarige Frau heißt Emma und ist Kunststudentin. Sie steht offen zu ihrer Homosexualität und lebt mit ihrer Freundin zusammen. Adèle hingegen weiß noch nicht so recht was sie will und wo sie hingehört und muss ihren Weg erst noch finden.

Nach anfänglichen Schwierigkeiten werden die beiden schließlich ein Paar. Eine exzessive Leidenschaft verbindet die beiden Frauen. Doch der gemeinsame Alltag offenbart, dass beide eigentlich nicht viel gemeinsam haben und Leidenschaft eine größere Rolle spielt als die Liebe, doch sie können weder mit noch ohne einander leben…

Da ich Freikarten für den Film gewonnen hatte, haben wir ihn uns am Samstagabend angeschaut. „Blau ist eine warme Farbe“ läuft nur in ausgewählten Kinos und ist nicht in den großen Mainstreamkinos zu finden. Ich dachte erst, wir müssten in die nächst größere Stadt fahren, um den Film zu sehen, aber glücklicherweise entdeckte meine Freundin, das der Film bei uns im Lumière Kino läuft. Übrigens sowohl im O-Ton als auch synchronisiert.

Ich habe mir im Vorfeld nur einmal den Trailer angesehen und ansonsten keine weiteren Informationen eingeholt. Ich finde, nur so kann man sich wirklich unvoreingenommen auf einen Film einlassen und sich überraschen lassen. Von den „skandalösen Sexszenen“ bis hin zu den gewonnen Goldenen Palmen bei den Cannes Filmfestspielen war mir also nichts bekannt.

Der Film handelt zum einen von Adèles Selbstfindung und zum anderen von der exzessiven Liebe zwischen Adèle und Emma. Er basiert lose auf der gleichnamigen Graphic Novel von Julie Maroh und erzählt nur die erste Hälfte des Buches. Wobei das Buch nicht 1:1 adaptiert wurde.

Über den Film gibt es definitiv viel zu sagen. Aber wo fange ich am besten an? Vielleicht mit den beiden Hauptdarstellerinnen, Adèle Exarchopoulos und Léa Seydoux, die Adèle und Emma spielen. Beide spielen ihre Charaktere perfekt. Sehr emotional und authentisch und die Dreharbeiten haben den beiden Darstellerinen gnadenlos alles abverlangt. (Interessant und sehr lesenswert dazu ist dieses Interview). Überhaupt setzt der Film sehr auf Realitätsnähe und Authentizität. Die Kamera fängt alles ein, sogar verschmierte Münde und verrotzte Nasen. Das ist auch der stärkste Punkt des Films.

Die erste Hälfte beschäftigt sich, wie gesagt, mit Adèles Selbstfindungsprozess. Privat wie beruflich. Ab der zweiten Hälfte liegt der Fokus dann auf Adèles und Emmas Beziehung. Die exzessive Züge angenommen hat und beide merken schließlich, dass sie weder mit noch ohne einander leben können. Neben Selbstfindung und Liebe spielt vor allem Sex eine große Rolle. Sowohl in der Beziehung der beiden Frauen, als auch im Film. Geschlagene 7 Minuten wird der erste Sex zwischen Adèle und Emma gezeigt. Und das nicht heimlich versteckt unter der Bettdecke, sondern die Kamera klebt förmlich an den nackten Körpern der Hauptdarstellerinnen. Am Ende des Films kennt man jede Pore der beiden Frauen. Die Szene selbst war nicht nur sehr grafisch und explizit, sondern auch etwas unrealistisch. Adèle hatte vor nicht all zu langer Zeit das aller erste Mal Sex (mit einem Jungen) und dies ist ihr erstes Mal mit einer Frau, aber sie kennt sich schon super aus? Wirkte absolut unrealistisch. Dass Léa und Adèle als Vorlage lediglich Hardcorepornos aus dem Internet hatten, wie sie erzählten, macht das Gesehene dann allerdings zumindest verständlich.

Was nackte Haut angeht, hält sich der Film in keinster Weise zurück. Man sieht Vaginas, Pos, Brüste und geöffnete Schenkel, die jeweils von Adèles und Emmas Zungen und Händen gründlich inspiziert werden. Pornographisch und voyeuristisch für die einen, authentisch und hautnah für die anderen. Da gehen die einzelnen Meinungen weit auseinander. Ich persönlich muss mich da der ersten Gruppe anschließen. Ich glaube nicht, dass man unbedingt mehrere, fast zehnminütige Sexszenen einbauen muss, um dem Zuschauer klar zu machen, dass beide gern Sex miteinander haben. Nach dem dritten Mal hatte es wirklich jeder verstanden. Manchmal reichen auch schon Andeutungen aus. Im Kino wurde sogar kollektiv laut genervt aufgestöhnt, als sich die sechste Sexszene abzeichnete. Es war einfach too much. Und ob man Adèle unbedingt beim Duschen zusehen muss, sei auch mal dahingestellt. Besonders befremdlich ist mir noch eine Szene in Erinnerung geblieben, in der Emma und Adèle im Café sitzen und Adèle anfängt, Emmas Finger abzulecken, und sich schließlich ihre ganze Hand genüsslich in den Mund steckt. „Höhepunkt“ der Szene: beide reiben und befummeln sich. Das war Fremdschämen pur!

Insgesamt geht der Film fast drei Stunden, in denen, neben viel Lust und Leidenschaft, auch noch ein paar ernste Themen einen Platz einnehmen. Zum Beispiel die unterschiedliche Herkunft und der Altersunterschied zwischen Adèle und Emma. Leichte Homophobie die Adèle von einigen ihrer Freundinnen entgegen schlägt. Aber der Film ist kein Drama um Anfeindung und die inneren Konflikte um die eigene sexuelle Orientierung. Was der Trailer vermuten lässt. Es geht um Emmas und Adèles eigene, kleine Welt und die Probleme die sie in der Beziehung haben. Dies macht den Film mit der Zeit zu einseitig und die fast 3 Stunden Laufzeit sind dann auch zu lang. Die vielen Sexszenen drängen den Film beabsichtigt oder unbeabsichtigt in eine bestimmte Ecke und dadurch bleibt diese „unendliche Liebe“, die beide verbindet, dem Zuschauer leider ein Rätsel. Nichts desto trotz ist der Film sehenswert, wenn auch eher durch die schauspielerische Leistung der Darsteller, als durch die Handlung selbst.

Blau ist eine warme Farbe

Deutscher Titel

Blau ist eine warme Farbe

Originaltitel

La vie d’Adèle – Chapitres 1&2

Originalsprache

Französisch

Erschienen

2013

Laufzeit

175 Minuten

Darsteller

Adèle Exarchopoulos, Léa Seydoux, Benjamin Siksou, Salim Kechiouche, Mona Walravens

Regisseur

Abdellatif Kechiche

Buchvorlage

„Blau ist eine warme Farbe“ von Julie Maroh

Genre

Drama, Coming of Age, Erotik, Romantik

FSK

ab 16 Jahren

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